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Fatima Grimm (Deutschland)

Under category : GESCHICHTEN NEUER MUSLIME
2129 2013/03/04 2024/12/27

Man hat mich gebeten, über den inneren Frieden zu sprechen. Und da fragte ich mich: Warum soll gerade ich das tun? Ich bin doch weder eine Gelehrte noch mit besonderer Weisheit gesegnet. Aber womöglich liegt doch ein Sinn darin, dass mir diese Aufgabe gestellt wurde. Es sollte vielleicht gar keine philosophische Behandlung des Themas „Innerer Friede“ sein, sondern der Versuch, euch, meine lieben Geschwister im Islâm, durch einen Rückblick teilhaben zu lassen, an der Suche nach einem gangbaren Ausweg aus dem uns alle zeitweise erfassenden Wirbel innerer Zerrissenheit: dem hilflosen hin und her Pendeln zwischen äußeren Zwängen, die uns ständig daran hindern, entsprechend den Idealen, zu denen wir uns bekennen, auch wirklich zu leben.

 

Da waren zunächst die Jahre bevor ich mit dem Islâm in Berührung kam. Das verzweifelte Ausschau Halten nach Richtlinien, die auch tatsächlich Gültigkeit haben. Man sah und hörte so vieles - etwa von Familienzwistigkeiten, in denen jeder auf seine Weise recht zu haben schien, an Lese- und Lernstoff, in denen sich die Dinge mal im einen, dann im anderen Licht darstellen ließen und man jedes Mal glaubte, jetzt den richtigen Ausblick gewonnen zu haben - aber es musste doch Maßstäbe geben, auf die sich die Menschen eigentlich sollten einigen können. Wer aber könnte solche Maßstäbe errichten? Irgendein hervorragender Wissenschaftler, eine geistige Größe? Und wie lange hätten dann solche Richtlinien Gültigkeit, welche Reichweite wäre ihnen zuzuerkennen?

 

Nein, auf dem Weg ging es nicht weiter. Alles Nachdenken führte in spiralförmigen Kreisen immer wieder auf den unausweichlichen Mittelpunkt zu, die Kernfrage nach Gott. Dass Er da sein muss, hatte das Herz bestätigt, weil es nicht umhin konnte, bei allem Guten, das ihm widerfuhr, Dank sagen zu wollen. Aber wem? Einem „Vater“-Gott auf erhabenem Wolkenthron? Einem leidenden Gott mit Dornenkrone? Einer aus weiter Ferne rätselhaft lächelnden fernöstlichen Gottheit? Dieses Herz mit seiner unstillbaren Sehnsucht seine Dankbarkeit abstatten zu können bestand aber auch unerbittlich darauf, dies in absoluter Aufrichtigkeit tun zu können. Es sollte aus tiefster Überzeugung heraus geschehen, nicht halbherzig mit unzähligem Wenn und Aber.

 

Ich erinnere mich an die Stunden nach einer Operation, die mich um ein Haar das Leben gekostet hätte und nach der ich mich immer wieder fragte: Warum lebst du eigentlich noch? Ungefähr drei Monate später geschah dann das Wunder, auf das ich kaum noch zu hoffen wagte: Ein klarer Weg hin zu Allâh tat sich mir auf: Ich begegnete erstmals bewusst dem Islâm.

 

Islâm - Friede, Geborgenheit durch völlige Ergebung in den Willen Allâhs. Und was dieser Wille Allâhs ist, das kann jeder nachlesen in einem Buch, das über 1400 Jahre unverändert erhalten geblieben ist. Durch vorangegangene Enttäuschungen misstrauisch gemacht, begann ich meine ersten Schritte auf dem islamischen Weg zu Allâh hin eigentlich in der Erwartung, auch hier würden sich schon alsbald unüberbrückbare Widersprüche zwischen der schönen Theorie und der täglichen Praxis ergeben.

 

Aber genau das Gegenteil trat ein. Zu allem, was ich in den folgenden zwei Jahren las, worüber ich mit den wenigen Muslimen, die es damals in meiner Umgebung gab, diskutierte, konnte mein Herz nicht anders als ja sagen. Damit begann der Friede ganz allmählich bei mir einzuziehen. Denn der wichtigste Schritt war getan: Ich wusste jetzt, dass Gott da ist, dass hinter allem ein planender, schöpferischer Wille steht und dass der Mensch, sofern er seine Lebensweise in Einklang mit diesem Willen zu bringen trachtet, seine innere Unrast ablegen kann. Was für ein Sieg ist das für den, der sich so sehnsüchtig auf der Suche befand. So richten sich die ersten Verse der Sûra al-Fath gewiss ebenso wie an den Propheten möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken auch an jeden gläubigen Menschen:

 

„Gewiss, Wir haben dir einen deutlichen Sieg verliehen, damit dir Allâh das von deinen Sünden vergebe, was vorher war und was später sein wird, und damit Er Seine Gunst an dir vollende und dich einen geraden Weg leite und (damit) Allâh dir helfe mit mächtiger Hilfe. Er ist es, der die innere Ruhe in die Herzen der Gläubigen herabgesandt hat, damit sie in ihrem Glauben noch an Glauben zunehmen. Und Allah gehören die Heerscharen der Himmel und der Erde. Und Allâh ist Allwissend und Allweise. (Dies,) damit Er die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen in Gärten eingehen lasse, durcheilt von Bächen - ewig darin zu bleiben -, und ihnen ihre bösen Taten tilge; das ist bei Allâh ein großartiger Erfolg.“ (Sûra 48:1-5)

 

In der Seligkeit, jetzt endlich einen festen Halt in diesen unruhigen Zeiten gefunden zu haben, sich sonnend in der Zuneigung der Menschen, die einem bei den ersten Schritten auf dem geraden Weg begleiten, und beschwingt durch das Hochgefühl, mit Hilfe des eigenen Verstandes die richtige Wahl getroffen zu haben durch die Annahme des Islâms, meint man allerdings nur allzu leicht, jetzt stünden einem nur noch gute Tage bevor. Aber rasch lernt der neue Muslim begreifen, dass es nicht umsonst heißt: „Meinen die Menschen, sie würden in Ruhe gelassen werden, wenn sie bloß sagen: 'Wir glauben', und sie würden nicht auf die Probe gestellt? Wir stellten doch die auf die Probe, die vor ihnen waren. Also wird Allâh gewiss die erkennen, die wahrhaftig sind, und gewiss wird Er die Lügner erkennen.“

 

Das ist unsere lebenslange Aufgabe: den Frieden in uns herzustellen, indem wir aufrichtig sind, nicht immer wieder Kompromisse einzugehen, die uns unsicher und letztlich unglücklich machen. Denn das Gewissen ist eigentlich unbestechlich. Wenn wir versuchen, es zu betrügen, rächt es sich, lässt uns keine klare Ausgangsbasis finden und macht uns zu schwankenden, nicht zuverlässigen Gliedern in der Kette der Muslime, die einander eigentlich halten und festigen sollten.

 

Die Reinheit und Richtigkeit der islâmischen Lehre erkannt zu haben und dann nicht danach zu leben, kommt einer Lüge gleich. Das weiß unser Gewissen und darum gönnt es uns keine Ruhe, keinen Frieden. Und so rennen wir Menschen, wie die Ameisen in einem aufgestocherten Ameisenhügel, hin und her, teilweise kopflos, und anstatt getreu dem Vorbild der frühen Muslime, vor allem aber des Propheten, durch unsere eigene Ausgeglichenheit, Besonnenheit und geduldige Ergebung in Unvermeidliches der Menschheit Vorbild zu sein, tragen viele Muslime noch zum allgemeinen Durcheinander kräftig bei.

 

Es gilt also, mit dem klaren Konzept der islâmischen Lehre vor dem inneren Auge, sich daranzumachen, den islâmischen Frieden zunächst in uns selbst zu verwirklichen und dann, nicht durch erhobenen Zeigefinger und ermüdendes Predigen, sondern ganz einfach durch unser gelebtes Beispiel, sozusagen ansteckend zu wirken auf unsere nächste Umgebung.

 

Der wirklich fundierte Friede aber kann nur in unsere Herzen einziehen, wenn er auf Wissen und Erkenntnis beruht. Und es gibt keine unerschöpflichere Quelle für diesen Frieden als den Qurân. Wer es sich nicht zur Gewohnheit macht, jeden Tag wenigstens ein paar Verse zu lesen und darüber nachzudenken, beraubt sich selbst des wichtigsten Trostes, der zuverlässigsten Hilfe. Wer nur einmal in der Woche oder im Monat den Qurân aus dem Regal holt, als Pflichtübung, oft abgelenkt durch unerledigte Vorhaben, ein gewisses Pensum absolviert, wird wohl kaum zu echtem Verständnis gelangen. Verstehen, lieben und wirklich annehmen kann man Allahs Wort nämlich nur, wenn man so vertraut damit wird, dass man es auf sich ganz persönlich zu beziehen beginnt. Im Zusammenhang mit dem Frieden wird uns beispielsweise im Qurân gesagt: „Und richte nur nicht deine Augen auf das, was Wir manchen von ihnen paarweise als Nießbrauch gewähren - den Glanz des diesseitigen Lebens -, um sie darin der Versuchung auszusetzen. Die Versorgung deines Herrn ist besser und beständiger.“ (Sûra 20:131)

 

Ist dieser kurze Vers nicht ein köstlicher Schutzschild gegen Neid und gegen Gier auf Vergnügungen, die in Wirklichkeit so schal wie kurz sind.

 

An anderer Stelle werden wir gefragt, ob Allâhs Erde nicht weit genug sei, damit wir von dort weggehen können, wo Schlechtes, Schädliches ist. Der Prophet Muhammad möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken hat das getan, indem er sein wohlvertrautes, gewiss geliebtes Makka verließ. Aber betrifft es nicht jeden einzelnen von uns ebenso? Natürlich, wenn uns unser Besitz lieber ist, wenn er uns so gefangen hält, dass wir um seinetwillen Dinge tun oder hinnehmen, die gegen unseren Glauben sind, dann müssen wir eben warten auf Allâhs Entscheidung. Aber Friede wird so wohl kaum in uns sein können.

 

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie wir durch bewusstes Qurân-Lesen an uns so arbeiten können, dass die inneren Konflikte allmählich abgebaut werden. Der beglückendste Aspekt aber liegt darin, dass wir durch qurânische Anleitung aufmerksam werden auf die unzähligen Zeichen Allâhs, die sich uns täglich und stündlich darbieten. Nicht blindlings alles als Zufall einreihen, sondern mit offenen Augen wahrnehmen: Allâh hat diese Blume, diesen Baum, diese Vogelstimme geschaffen, damit ich das heute sehe oder höre, damit ich Sein Wirken darin wieder erkenne und Dank dafür empfinde. Mit den guten und schönen Dingen des Lebens dies eingeübt, greift es dann aber auch über auf die schweren, kummervollen Ereignisse: Mir tut heute dies oder das weh, ich muss heute über dieses oder jenes trauern, damit ich etwas ganz Bestimmtes daraus lerne, vielleicht Demut, vielleicht mehr Dankbarkeit für die schönen Stunden. Vor allem aber das: Das Leben hier auf Erden ist eine Vorbereitung und Prüfung. Mein Lebenszweck ist nicht, dass es mir gut geht, dass ich bequem und angenehm lebe, sondern dass ich versuche, meinem Leben nach besten Kräften einen Sinn zu geben. Und das schaffe ich nur mit dem Bewusstsein: Ich tue, was Allâh mir vorgeschrieben hat und darf darum hoffen, dass Er zufrieden sein wird mit mir.

 

Zufrieden aber wird Er nur sein, wenn ich selbst gelernt habe, mich zu bescheiden. Natürlich soll ich mich nach besten Kräften anstrengen, mir vorschwebende sinnvolle Ziele zu erreichen: Gelingt es aber trotzdem nicht, muss ich begreifen lernen, dass es so gewiss besser ist für mich, nach Allâhs allweisem Plan. Wenn ich - insbesondere in materiellen Dingen - die Tendenz habe, stets nach oben zu blicken, nach dem besseren Auto meines Nächsten, seinem lukrativeren Gehalt, seiner reichlicheren Freizeit, werden sich Friede und Zufriedenheit nie in meinem Herz breit machen können. Wenn ich dagegen mit wenig Geld auskommen muss, keine eigene Villa besitze und womöglich das dritte Jahr im selben Sommerkleid herumlaufe, mir aber vor Augen halte, wo überall auf Erden Menschen fast überhaupt nichts zu essen haben, auf der Straße schlafen müssen und nicht wissen, womit sie ihre Kinder kleiden sollen, dann werde ich in Bescheidenheit und Demut Allâh für mein Los danken. Das ist echter innerer Friede.

 

Was aber die Freizeit betrifft, die heiß umstreikte 35-Stunden-Woche und die sogenannte Erholung: Haben wir da nicht alle längst an uns selbst erfahren müssen, dass man überhaupt nicht so glücklich ist, wenn man Tage oder Stunden des Müßiggangs hinter sich hat? Ich meine, es gehört mit zum Frieden, seine Zeit sinnvoll auszufüllen. Statt untätig vor sich hin zu träumen, was man vielleicht alles noch haben oder erreichen könnte, was man womöglich verloren hat oder nie bekommen wird, gäbe es so unzählige Dinge, die wirklich inneren Frieden mit sich bringen: Es muss ja nicht immer nur die Qurân-Lektüre sein, es kann ja auch ein Spaziergang, aber in Gesellschaft von muslimischen Freunden, sein, ein gemeinsames Essen mit Gesprächen, in denen das Wort „Allâh“ fallen kann, ohne dass man Angst haben muss, dafür spöttisch angesehen zu werden, ein Besuch bei einem einsamen oder kranken Bruder, einer hilfsbedürftigen Schwester.

 

Ein Leben, das sinnerfüllt ist durch den unerschütterlichen Glauben an Allâh und daran, dass das Leben hier auf Erden nur eine Vorstufe ist für das Jenseits, ist aber vor allem deshalb von Frieden getragen, weil darin die schlimmste aller Ängste fehlt, nämlich die furchtbare, hilflose Angst vor dem Tod. Der praktizierende Muslim weiß ja, dass er zu Allâh, dem Allverzeihenden, Allbarmherzigen zurückkehren wird und dass dann alle Mühe und Plage ein Ende haben wird. Er hat sich sein Plätzchen im Paradies durch gute Taten ausgeschmückt und kann darum getrost auf Allâhs Versprechen vertrauen:

 

„O du Seele, die du Ruhe gefunden hast, kehre zu deinem Herrn zufrieden und mit Wohlgefallen zurück. Tritt ein unter Meine Diener, und tritt ein in Meinen (Paradies)garten.“ (Sûra 89:27-30)

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