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Atikas Traum
Der Islam hatte sich in Mekka, ganz Medina und in vielen anderen Orten Arabiens verbreitet.
Die Anführer der Quraisch aber wiesen seine Botschaft weiterhin zurück, nahmen alle gefangen, die dem Propheten folgten, und folterten sie. Bisher war es den Muslimen untersagt gewesen, sich zu wehren. Als sich nun jedoch auch Angriffe auf die Muslime in Medina
ankündigten – die Verschleppung Ayyashs war nur ein Fall von vielen – empfing der Prophet die himmlische Erlaubnis, sich aktiv zu verteidigen. Die Verse lauteten: „Die Erlaubnis, (sich zu verteidigen), ist denjenigen gegeben, die bekämpft werden, weil ihnen ja Unrecht zugefügt wurde – und Allah hat wahrlich die Macht, sie zum Sieg zu führen. Jene, die schuldlos aus ihren Häusern vertrieben wurden, nur weil sie sagen: ‚Unser Herr ist Allah.‘ Und wenn Allah nicht die einen Menschen durch die anderen zurückgehalten hätte, so wären gewiss Mönchsklausen, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen der Name Allahs häufig genannt wird, niedergerissen worden. Und Allah wird ganz gewiss denjenigen zum Sieg verhelfen, die Ihm helfen. Allah ist wahrlich Stark und Allmächtig.
Um aber die Grenzen und Regeln dieser Verteidigung zu bestimmen, offenbarte Allah: „Und kämpft gegen sie, bis es keine Verfolgung mehr gibt und bis aller Glaube Allah gehört. Wenn sie aber aufhören, dann darf es keine Gewalttätigkeit geben außer gegen diejenigen, die Unrecht tun.“ Und weiter: „Überschreitet nicht das Maß, wahrlich, Allah liebt die Maßlosen nicht
Offensichtlich waren die Götzendiener davon ausgegangen, dass die Muslime sich nie verteidigen würden und dass man sie auch in Medina verfolgen und ausplündern konnte. Aber eine Offenbarung verhieß: „So lasse den Ungläubigen noch Zeit; lasse ihnen nur eine Weile Zeit.“Die Muslime wussten, dass es ohne Verteidigung keinen Frieden und keine Freiheit geben würde. Doch ohne einen Befehl von Allah durften sie nichts unternehmen – ganz gleich, wie gern sich manche von ihnen von Anfang an verteidigt hätten, um der Tyrannei und dem Morden ein Ende zu setzen.
Die Quraisch schickten einen Brief an Ibn Salul, der als Kopf der Heuchler bekannt war, und verlangten von ihm, er solle den Gesandten ermorden oder wenigstens verfolgen. Täte er das nicht, würden sie sich versammeln, Medina angreifen, alle Männer töten und die Frauen verschleppen. Ibn Salul kam dieser Brief sehr gelegen, denn er sicherte ihm Unterstützung aus Mekka zu. Er versuchte, alle Götzendiener und Heuchler zu vereinen, um die Muslime zu bekämpfen. Doch schon bald erfuhr Muhammad davon. Er ließ seine Gegner zu sich kommen, stellte sie zur Rede und konnte das Feuer ihres Hasses durch seine Weisheit löschen.
Die Gefahr durch die Quraisch war jedoch so groß, dass der Prophet eines Nachts zu Aischa sagte: „O wäre doch jemand von meinen
Gefährten da, der mich heute Nacht bewachen würde!“ Bald schon hörten sie das klappernde Geräusch von Waffen.
„Wer ist da?“, rief der Prophet.
„Ich bin es, Saad Bin Abi Waqqas! Ich habe Angst um dich. Deshalb bin ich gekommen, um dich zu bewachen!“ Der Prophet sprach Bittgebete für ihn. Dann schlief er ruhig ein.
Die Muslime bewachten den Propheten nun nachts so lange, bis ihnen offenbart wurde, dass „Allah dich vor den Menschen schützen wird.“ Da kam der Prophet zu ihnen heraus und sagte: „O ihr Menschen, ihr könnt gehen, Allah der Erhabene wird mich schützen!“
Die Situation für die Muslime in Medina war also ernst. Das hinderte sie jedoch nicht daran, fleißig zu arbeiten und nach den Gesetzen des Korans zu leben. Sie begannen, um Medina herum Friedensabkommen mit den Stämmen zu schließen, Gerechtigkeit herzustellen und die Wege vor Straßenräubern und ähnlichem sicher zu machen. Dies wurde durch bewaffnete Expeditionen gewährleistet, die der Prophet immer wieder von Medina aus sandte.
Auf einem dieser Streifzüge gewann der Prophet die Freundschaft der Bani Mudladsch und ihrer Verbündeten von den Bani Damra.
Die Bildung des islamischen Staates war den Mekkanern ein Dorn imAuge, und sie sammelten Kräfte, um ihn zu vernichten. Auch versuchten sie, die gesamte arabische Halbinsel gegen Muhammad und seine Gefährten aufzubringen. Das Hab und Gut, das die Muslime in Mekka zurückgelassen hatten, wurde von den Götzendienern entwendet und auf Kamele geladen, um es zu verkaufen.
Eine dieser Karawanen wurde von Abu Sufyan nach Syrien geführt. Auf dem Weg zurück nach Mekka musste er nahe an Medina vorbei.
Die Muslime, die von der Karawane erfahren hatten, wollten sie abfangen, um einen Teil der Güter als Ersatz für ihre gestohlene Habe von den Quraisch zurückzuerobern. Die Nachricht von der militärischen Bewegung der Muslime erreichte Abu Sufyan. Er verstärkte seine Wachsamkeit und bereitete einen Boten vor, den Damdam Bin ‘Amr, den er eilends mit der Weisung nach Mekka schickte, die Quraisch von der Verteidigung ihrer Güter zu überzeu-gen, da die Karawane in Gefahr sei.
Drei Nächte vor der Ankunft des Boten in Mekka hatte Atika, die Tante des Propheten, einen Traum, der sie erbeben ließ. Sie rief nach ihrem Bruder Abbas und erzählte ihm davon, bat ihn jedoch, niemand Weiterem von dem Traum zu berichten
„Was hast du im Traum gesehen?“, fragte Abbas gespannt. „Ich sah einen Mann auf einem Kamel reiten, im Tal hielt er an. Dann rief er mit schrecklicher Stimme: ‚Lauft, ihr Hinterhältigen, in euer Unglück, das euch in drei Tagen niederwerfen wird!‘ Ich sah, wie die Leute sich um ihn scharten. Dann betrat er die Moschee und die Menschen folgten ihm. Währenddessen sprang er mit seinem Kamel auf das Dach der Kaaba und rief wieder: ‚Lauft, ihr Hinterhältigen, in euer Unglück, das euch in drei Tagen niederwerfen wird!‘ Dann gelangte ermit seinem Kamel auf den Gipfel des Abu Qubays und rief: ‚Lauft, ihr Hinterhältigen, in euer Unglück, das euch in drei Tagen niederwerfen wird!‘ Kurz darauf nahm er einen Felsbrocken und schleuderte ihn hinunter. Als der Stein unten aufschlug, zerbrach er in tausend Stücke und seine Splitter trafen jedes Haus in Mekka.
Abbas wunderte sich über den Traum und sagte zu seiner Schwester: „Bei Allah, das ist ein wahrer Traum, den du geheim halten solltest!“ Dann ging er in die Stadt. Auf dem Weg traf er seinen Freund Walid Bin Utba.
Er erzählte ihm den Traum der Schwester und bat ihn, nicht mit anderen darüber zu sprechen. Walid aber erzählte ihn seinem Vater Utba, und es dauerte nicht lange, bis ganz Mekka darüber redete.
Am Tage darauf ging Abbas, um einen Tawaf zu verrichten, also die Kaaba zu umschreiten. Währenddessen saß Abu Dschahl mit einigen Leuten der Quraisch beisammen; sie sprachen über Atikas Traum. Abu Dschahl rief Abbas zu: „O Abul Fadl, wenn du mit deinem Tawaf fertig bist, komm zu uns!“
Als Abbas fertig war, ging er zu ihnen. Abu Dschahl fragte ihn bös-artig: „O ihr Söhne Abdul-Muttalibs, seit wann sieht diese Prophetin
unter euch Dinge voraus? Seid ihr nicht damit zufrieden, dass eure Männer prophezeien, tun das nun auch eure Frauen?“ Abbas fragte, was er damit meinte.
Abu Dschahl erwiderte: „Atikas Traum, in dem jemand gesagt haben soll: ‚Lauft, ihr Hinterhältigen, in euer Unglück, das euch in drei Tagen niederwerfen wird!‘ Wir werden drei Tage warten! Wenn es stimmt, was sie sagt, wird es so sein; wenn aber die drei Tage um sind und nichts geschehen ist, werden wir ein Schreiben über euch veröffentlichen, dass ihr die größte Lügnerfamilie unter allen Arabern seid!
Abbas, dem nichts einfiel, was er Abu Dschahl erwidern konnte, schwieg und ging nach Hause Die Frauen der Sippe Abdul-Muttalib tadelten ihn: „Bist du damit zufrieden, dass der bösartige Abu Dschahl zuerst über die Männer herfällt und nun auf diese Weise auch noch die Frauen verhöhnt? Und du hörst einfach zu?“
„Bei Allah, ich habe keine passende Antwort gefunden. Ich werde ihn aber morgen herausfordern, und wenn er es wiederholt, werde ich mit ihm etwas machen, was euch zufriedenstellt!“
Am nächsten, also am dritten Tag nach Atikas Traum, ging Abbas wütend zur Kaaba und wollte tun, was er am Tag zuvor versäumt hatte. Er sah Abu Dschahl. Er näherte sich ihm, um ihn zu provozie-ren, damit er das, was er am Tag zuvor gesagt hatte, wiederholte.
Abu Dschahl war ein lebhafter Mann mit harten Gesichtszügen, scharfer Zunge und scharfem Blick. Doch bevor Abbas ihm etwassagen konnte, erhielt Abu Dschahl seine Antwort – so heftig, dass die Felsen des Abu Qubays von der lauten Stimme des Boten Abu Sufyans widerhallten: Das war Damdam!
Als er das Innere des Tals von Mekka erreichte, verstümmelte er seinem Kamel die Nase, so dass es blutete, drehte den Sattel herum, zerriss sein Hemd von vorn und hinten und schrie: „O ihr Quraisch! Das Geld und der Handel! Euer Vermögen, das Abu Sufyan verwaltet! Es ist in Gefahr, Muhammad und seinen Gefährten in die Hände zu fallen. Ich weiß nicht, ob ihr es noch zu fassen bekommt! Zu Hilfe! Zu Hilfe!“
Das ganze Theater machte er als Zeichen eines drohenden Unheils. Abu Sufyan hatte ihn reichlich bezahlt, damit er seine Rolle so glaubwürdig spielte wie nur möglich.
Abu Dschahl und seine Männer machten sich bereit. Kein Sippenführer oder Kampffähiger blieb zurück – nur Abu Lahab, der an seiner
Stelle einen Mann namens Al-Asi Bin Hischam schickte, der ihm viertausend Dirham232 schuldete und seine Schulden nicht bezahlen konnte. Als Gegenleistung für das Erlassen der Schuld sollte Al-Asi in
den Krieg ziehen.
Von den Oberhäuptern der Quraisch wollte auch Bilals ehemaliger Besitzer Umayya Bin Chalaf, ein dicker, hochnäsiger alter Mann, zurückbleiben, worauf Uqba mit einer Weihrauchschale zu ihm zur Kaaba ging. Er hielt sie ihm unter die Nase, beräucherte ihn und spottete: „Parfümiere dich damit, du gehörst ja zu den Frauen!“ „Allah verfluche dich und das, womit du gekommen bist!“, schimpfte Umayya und nahm die Herausforderung an, indem er sich vorbereitete, mit den anderen in den Kampf zu ziehen.